Grille oder Ameise? Wie faul darf ich sein?

Transkript zum Podcast Inspiriert Schreiben. Folge 11

Hast du dich auch schon gefragt, wie oft du wie viel schreiben sollst? Oder aber wie faul du eigentlich sein kannst, wenn du einen Roman schreiben willst?
Dann bist du hier genau richtig.

Hallo und herzlich willkommen.
Ich bin Ulrike Hartmann, Autorin und Schreibmentorin. Und hier in diesem Podcast dreht sich alles um Inspiration, um Lebendigkeit und die Freude am kreativen Tun. Und ich freue mich sehr, dass du bei der zweiten Staffel dabei bist.

Nach der Sommerpause steigen wir jetzt wieder ein. Und ganz passend dazu, nach meiner langen Pause: Wie faul darf ich als Kreative eigentlich sein?

Ich möchte dich zu einer kleinen Reise in die Fabelwelt mitnehmen.

Vielleicht kennst du ja diese Fabel, auch von La Fontaine noch einmal aufgenommen, von der Grille und der Ameise. Da treffen wir die Grille, die singt und tanzt und sie macht den anderen Menschen Freude. Und dann ist da die Ameise, die aber in der gleichen Zeit ganz fleißig Vorräte sammelt.
Und dann hat im Winter die Ameise genug zu essen, während die arme Grille am Verhungern ist.

Und seit Jahrhunderten dient uns diese Geschichte als moralischer Zeigefinger: Sei lieber wie die Ameise!

Aber stimmt das wirklich? Und wie faul darf ich eigentlich sein, wenn ich kreativ bin?

Und das ist das heutige Thema, mit dem ich mich mal ausführlich auseinandersetzen will, weil in meinen Workshops und in den Kursen immer wieder die Frage aufkommt: Wie viel muss ich schreiben, um kreativ bleiben zu können? Wie viel Pause kann ich mir eigentlich erlauben? Und da ist immer ein bisschen die Angst dabei: Wenn ich mir viel Pause erlaube, dann finde ich in den kreativen Prozess nicht mehr zurück.

Ich möchte hier betonen: Das ist natürlich ein Thema für Autorinnen und Autoren, die keinen Abgabetermin haben. Diese können sich nicht aussuchen, wie viel Zeit sie verbringen wollen, um mit dem Schreiben ihre Tage zu bestreiten. Das ist der Luxus, den Menschen sich erlauben können, die mit dem Schreiben noch nicht ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen.

Ist doch auch was Schönes!

Fangen wir an mit der Grille, mit der Stimme der Muße.

Die Stimme der Muße

Wenn ihr meine erste Staffel gehört habt, dann wisst ihr, dass ich, wenn ich über Kreativität rede, immer sehr gerne über die Schale der Fülle rede. Das heißt, ich muss so viel in meiner Schale an Ideen, Impulsen und Eindrücken gesammelt haben, dass sie überfließt. Erst wenn meine Schale überfließt, kann ich auch aus mir schöpfen. Ich kann kreativ sein.

Und ihr wisst auch, dass Ideen und Impulse und all das, was uns auch beim Schreiben bewegt, oft in den Momenten der Entspannung zu uns kommen. Ihr kennt das: Ihr geht spazieren, oder ihr seid unter der Dusche. Oder ihr buddelt im Garten – das ist bei mir immer ganz stark. Die Gartenbuddelei ist für mich der Kreativitätsbooster schlechthin. Also: Ihr macht irgendwas anderes, und dann auf einmal kommen euch oft die besten Ideen.

Pausen gehören zum kreativen Prozess unbedingt dazu. Weil wir uns ohne Pausen erschöpfen. Schreiben, vor allem das Schreiben von längeren Texten, ist wie ein Marathon. Wenn ich nicht mit meinen Kräften haushalte, dann erschöpfe ich mich leicht. Und wer regelmäßig innehält, der bleibt einfach länger produktiv.

Natürlich ist auch das immer ganz individuell. Jede und jeder von uns hat eine ganz andere Konstitution. Und jede und jeder hat eine ganz andere Art, mit Stress, mit dem Schreiben umzugehen. Deshalb ist es so wichtig, dass ich aufpasse, dass ich meine Kräfte nicht frühzeitig verliere.

Pausen beugen Stress und Burnout vor. Und Burnout ist wirklich ein großes Thema unter Autorinnen und Autoren, weil Schreiben einfach anstrengend ist. Ich werde das vielleicht noch in einer späteren Folge mit euch genauer besprechen.

Das bringt mich aber auch gleich zu der nächsten Frage:
Ist es eigentlich überhaupt eine Pause, wenn ich nicht schreibe, aber über mein Schreibprojekt nachdenke? Wenn ich sinniere, wenn ich suche, wenn ich sammle, wenn ich ordne, was und wie ich eigentlich schreiben will?
Natürlich nicht! Das ist keine Pause.
Schreiben, so abstrus das jetzt etwas klingen mag, ist eben nicht nur das Schreiben auf Papier oder am Monitor, sondern Schreiben ist ein ganzer Kosmos. Vielleicht hat dein Unbewusstes in dieser Zeit schon ganz viel für dich vorgearbeitet und du merkst es noch nicht – erst dann, wenn du wieder anfängst zu schreiben.

Die Stimme der Disziplin

So, jetzt sagst du vielleicht: Na gut, die Pausen sind ja gut und schön, aber ich muss auch mal an die Arbeit kommen. Und da sind wir natürlich bei der Ameise, der Stimme der Disziplin. Die Ameise ist das, was dich von deiner Idee zum Tun führt.
Denn wenn du immer nur in deiner Fantasie schwelgst oder immer nur Pause machst, ist es völlig klar: Da entsteht die Gefahr der Bequemlichkeit. Es ist wirklich schwer, wieder in Schwung zu kommen. Diese berühmte Aufschieberitis. Diese Pause als Ausrede. Man hat sich da irgendwas zurechtgemodelt, man drückt sich herum und je länger diese Pause dauert, umso unangenehmer kann sie auch werden.
Das hat etwas mit Unsicherheit zu tun und Kontrollverlust. Man hat das Gefühl, man kann gar nichts mehr tun. Und natürlich kommt da auch ein schlechtes Gewissen. Wir alle leben in einer Leistungsgesellschaft. Und auch das Schreiben wird oft mit Leistung assoziiert.

Das Wechselspiel

Was ist also zu tun? Grille oder Ameise?

Die Wahrheit ist: Wir brauchen beide. Die Grille bringt uns die Inspiration, die Leichtigkeit und die Freude. Die Ameise sorgt dafür, dass die Ideen umgesetzt werden und unser Schreiben Substanz gewinnt.
Und die Kunst liegt im Wechselspiel. Das ist wie Ein- und Ausatmen. Das ist ein Rhythmus von Anspannung und Entspannung.

Und um deinen richtigen Rhythmus beim Schreiben zu finden, musst du ganz wachsam sein, wie du am besten schreiben kannst. Ich werde in der nächsten Episode von diesem Podcast noch einmal auf Schreibrhythmen eingehen. Gemeinhin nennen wir unsere Schreibrhythmen auch Schreibroutinen. Aber vielleicht sollten wir das umbenennen.

Ich würde dich heute einladen: Stell dir einmal so eine kleine Skala vor. Links die Grille, rechts die Ameise. Wo stehst du denn heute? Brauchst du ein Stückchen mehr Grille – also mehr Pause, etwas mehr Vertrauen, etwas mehr Leichtigkeit?
Oder brauchst du eher die Ameise, also Disziplin und Struktur und Dranbleiben? Und erlaube dir, zwischen diesen beiden Polen in Bewegung zu bleiben, hin- und herzupendeln. Anspannen und entspannen, beides gehört zum Schreiben dazu.

Ich habe dir auf meiner Homepage ein Arbeitsblatt hochgeladen: Grille oder Ameise.
Und da kannst du spielerisch herausfinden, wo du eigentlich gerade stehst, ob du mehr Grille oder Ameise brauchst und wie du bestimmte Stimmen in deinem Kopf ganz gut für dich arbeiten lassen kannst.

Die Erkenntnis für heute: Grille und Ameise sind keine Gegner, sie sind Teamplayer. Ohne die Grille, ohne die Muße, ohne das Spiel fehlt die Freude, und ohne die Ameise, die Disziplin und den Fleiß fehlt die Umsetzung.

Beobachte mal in dieser Woche, wann du Grille bist und wann Ameise. Und dann schreib dir einen Moment auf, in dem diese Balance ganz besonders gut gelungen war. Was hat da gepasst? Wie konntest du das beim Schreiben umsetzen? Was war da für dich so richtig stimmig? Und wenn es mal ganz schlecht läuft: Was hat da nicht funktioniert? Es ist immer eine Frage der Wahrnehmung. Was brauchst du, um gut schreiben zu können?

Ein Beispiel

Nimm mal zum Beispiel jetzt diesen Podcast. Ich hatte in den Sommerferien viel Zeit, darüber nachzudenken, wie ich mit meinem Podcast weitermachen möchte. Und ich habe dann gemerkt, dass es für mich kein großer Spaß ist, viele Folgen vorzuproduzieren. Ich bin immer gerne nah an dem Thema, das ich hier veröffentliche, weil es mir so Spaß macht, mit den Leuten auch darüber zu reden. Und wenn ich alle 14 Tage weitermachen würde mit diesem Podcast, würde ich mich – das steht völlig fest – in den nächsten Monaten schon sehr erschöpfen.

Mir hat die Pause gezeigt, und das ist jetzt vielleicht auch für dich wichtig, wenn du diesen Podcast gerne hörst, dass ich in Zukunft immer am ersten Dienstag im Monat meinen Podcast hochladen kann. Das gibt mir dann die Freiheit, spontan und auch regelmäßig neue Folgen zu produzieren, ohne dass es mich überfordert.

Hätte ich diese Lösung für mich gefunden, wenn ich keine Pause gemacht hätte? Sicherlich nicht.

Ich bin sehr zufrieden, dass ich sie gefunden habe. 😃

Pausen sind gut, wenn sie dir Kraft geben. Und Pausen sind nicht so gut, wenn sie dir das Gefühl geben, dass du langsam aber sicher den Anschluss an das Schreiben verlierst.

Das war es schon wieder für heute, die erste Folge der neuen Staffel. Ich freue mich so sehr, dass du wieder dabei bist oder vielleicht auch neu dabei bist. Ab sofort hören wir uns immer am ersten Dienstag im Monat.

Bis zum nächsten Mal.
Ich wünsche dir ein gutes Schreiben.

Deine Ulrike Hartmann