Mit allen Sinnen schreiben
Transkript zum Podcast Inspiriert Schreiben. Folge 8
Eines der wichtigsten Werkzeuge beim Schreiben ist dein Gespür. Und wie kannst du dieses Gespür entwickeln? Indem du deine Sinne schärfst. Und da gibt es einiges zu beachten.
Hallo und herzlich willkommen. Ich bin Ulrike Hartmann, Autorin und Schreibmentorin. Und in diesem Podcast lernst du, deinen Weg als Schriftsteller hinzufinden und deine eigene kraftvolle Schreibroutine aufzubauen.
Und das heutige Thema ist: Mit allen Sinnen schreiben. Denn meines Erachtens sind die schönsten Texte immer die, die unsere Sinne bedienen. Wenn ich in eine Szene eintauchen kann, weil ich sie rieche, weil ich sehe und höre, was da passiert. Dass ich vielleicht sogar das Gefühl habe, ich kann es tasten. Mit anderen Worten, wenn ich den Eindruck habe, ich bin hautnah dabei.
Wie kann ich solche Texte erschaffen? Indem ich Eindrücke sammle und miteinander verbinde, und es dann mit dem Schreibhandwerk abgleiche. Ganz bewusst. In den verschiedenen Phasen meines Schreibprozesses. Wenn du deine Sinne ganz bewusst schärfst und förderst, kannst du deinen Texten Tiefe verleihen.
Hör zu auf

Lass uns mal schauen, was da möglich ist.
Stell dir mal eine alte, verstaubte Bibliothek vor.
Das Licht fällt durch hohe Fenster, der Geruch von Leder und Papier liegt schwer in der Luft und die Stille wird nur vom leisen Umblättern einer Seite durchbrochen. Du streichst über einen alten Tisch, spürst die Kerben unter deinen Fingerkuppen, die jemand vor dir in das dunkle Holz geritzt hat.
Oder du bist auf einer Waldlichtung und auf einmal hast du diesen ganz bestimmten Duft von feuchtem Moos in der Nase.
Oder du bist in einer Bäckerei und es duftet verführerisch nach gebackenem Brot.
Gerade Düfte können alte Erinnerungen wachrütteln und uns direkt zurück, zum Beispiel in unsere Kindheit versetzen. Der Geruch ist ganz eng mit dem Gedächtnis verbunden. Ein bestimmter Duft, wie frisch gemähtes Gras oder Geräusche, wie das sanfte Rauschen von Regen auf einem Dach, all das kann Erinnerungen und Gefühle hervorrufen. Und wenn du diese Nuancen in deinen Text einfließen lässt, dann schaffst du Szenen und Charaktere, die deine Leser berühren und die auch nachhaltig im Gedächtnis bleiben.
Oder vielleicht sind deine Figuren besonders, denn jeder Mensch erlebt die Welt anders. Vielleicht ist deine Figur ein Meister der Gerüche und erkennt Menschen zum Beispiel an ihrem speziellen Zigarettenrauch. Oder deine Heldin kann Farben fühlen und findet in einem Sonnenuntergang Trost und Hoffnung. Wie erlebt deine Figur die Welt? Vielleicht spürt sie die Kälte eines Kiesbodens unter bloßen Füßen oder er erkennt die Gefahr an einem klingenden Geräusch in der Ferne.
Indem du deine eigenen sinnlichen Erfahrungen reflektierst, lernst du Figuren zu erschaffen, die ihre Umwelt auf einzigartige Weise wahrnehmen. Das verleiht deinen Charakteren Tiefe und Authentizität. Ein knackender Ast, die Wärme eines Teeglases in der Hand oder die rauen Fugen einer alten Steinmauer – solche Kleinigkeiten machen Geschichten erfahrbar und je genauer du beobachtest und beschreibst, desto mehr fühlen sich deine Leser in deiner Welt zu Hause.
Und gleichzeitig kann diese bewusste Wahrnehmung von Sinneseindrücken auch ganz überraschende Ideen und kreative Impulse für dich haben. Ob es der Duft eines Sommergewitters ist oder das Geräusch von Kies, der unter Reifen knirscht. Solche Momente können der Ausgangspunkt für neue Handlungsstränge sein oder ganz poetische Metaphern.
Vielschichtige Welten
Mit anderen Worten, durch die bewusste Wahrnehmung von Farben, Gerüchen, Geräuschen, Geschmäckern und haptischen Eindrücken kannst du deine Szenen vielschichtiger gestalten. Leser und Leserinnen tauchen tief in deine Welt ein und sie fühlen sich als wären sie mittendrin.
Aber beim Schreiben ist es gar nicht so einfach, denn wir Autor:innen sind ja Kopfarbeiter:innen. Alles geschieht in unserem Kopf. Wir übersetzen unsere Gedanken in Schriftzeichen und die werden dann wieder von Leser:innen gelesen und umgesetzt. In Bilder und Emotionen und Worte.
Das ist anders als bei anderen Künsten. Zum Beispiel wie bei der Malerei oder der Musik, wo wir ganz unmittelbar mit Sinneseindrücken arbeiten.
Nimm die Malerei, die Farben, die Gerüche nach Terpentin und Pigmenten, dieses Geräusch des Pinsels auf der Leinwand und das Bild, das du dann unmittelbar betrachten kannst, schon während du malst. All das regt deine Sinne an und inspiriert dich. Oder die Musik, der Klang der Instrumente, die Stimmen, der Rhythmus, der dir dann unmittelbar ins Blut gehen kann, die Bewegung, die du vielleicht sofort in den Beinen spürst.
All das hast du beim Schreiben nicht. Du musst das alles im Kopf erwecken, um es dann in Schriftzeichen umzusetzen, die dann wieder von einem Leser, einer Leserin in Bilder und Worte und Sinneseindrücke umgesetzt werden.
Übrigens ist deshalb auch die Inspiration durch die KI nur sehr begrenzt, denn die künstliche Intelligenz ist ja auch nur eine reine Stichwortgeberin. Sie ist eine abstrakte Instanz, wenn du so willst. Sie bedient gerade mal den Sehsinn, vielleicht auch noch das Gehör, wenn du dir die Texte vorlesen lässt, aber ansonsten berührt sie deine Sinne nicht. Und von daher ist es gerade für uns Autor:innen ganz besonders wichtig, unsere Sinne wahrzunehmen und sie auch zu schärfen.
Ich habe manchmal in meinen Workshops eine Übung. Da schicke ich Menschen mit der Aufgabe los, die Welt mit allen Sinnen wahrzunehmen und das dann auch zu protokollieren. Für eine halbe Stunde, für eine Stunde, je nachdem. Und es gibt nicht wenige Menschen, die das unglaublich anstrengend finden, die es nicht schaffen, nicht nebenher noch auf das Handy zu schauen. Sie sind überhaupt nicht mehr gewohnt, im Moment zu sein, sondern haben eigentlich in ihrem Leben immer diese Abrufbereitschaft, immer dieses Gefühl, jeden Augenblick kann ich angerufen werden, kann mir gemailt werden, muss ich kontrollieren, was da ist. Sie können sich eigentlich nicht richtig auf den Moment mehr einlassen.
Es gibt noch viele andere Gründe, warum wir es mit unseren Sinnen zunehmend schwer haben.
Ein Feuerwerk der Eindrücke
Stell dir mal vor, du gehst durch eine belebte Innenstadt. Überall um dich herum blinken Lichter, Autos hupen, Werbetafeln schreien nach Aufmerksamkeit, dein Smartphone vibriert in der Tasche und während du versuchst, eine Nachricht zu lesen, nimmst du kaum noch wahr, wie die Luft riecht, welche Geräusche die Straße erfüllt oder wie der Boden sich unter deinen Füßen anfühlt. Unsere Sinne, diese wunderbaren Werkzeuge, mit denen wir die Welt erfassen, stehen unter Dauerbeschuss. In modernen Zeiten sind sie wie überforderte Wächter an einem viel zu großen Tor. Sie müssen alles filtern, sortieren und bewerten und bei vielen von uns bleiben sie dabei gar nicht lebendig, sondern sie stumpfen ab. Das ist so, als ob wir in einem endlosen Feuerwerk leben, bunt, laut, aufregend. Und dann irgendwann überfordern diese grellen Farben und der ständige Knall unserer Sinne. Sie schalten auf Durchzug. Dann kommt dazu der digitale Tunnelblick.
Wann hast du zuletzt die Wärme deiner Kaffeetasse in der Hand gespürt oder wirklich in den Duft von frischem Brot eingeatmet? Vielleicht verbringst du den Großteil des Tages vor Bildschirmen und unsere Augen, Ohren und Finger tasten sich durch digitale Welten, während die echte Welt ganz leise im Hintergrund verschwindet. Digitale Bilder und Klänge sind viel eindimensionaler als echte Klänge oder Bilder. Das sind glatt gebügelte Eindrücke und das wirkt sich auf die Dauer auch auf unser Gehirn aus.
Und dazu kommt, dass viele Dinge um uns herum darauf ausgelegt sind, möglichst allen zu gefallen. Und das führt dazu, dass unsere Sinne immer wieder das Gleiche erleben. Der gleiche künstliche Vanilleduft, der gleiche sterile Klang in Geschäften, die gleichen glatten eintönigen Oberflächen.
Immer mehr in unserer Welt ist genormt. Und dann kommt natürlich auch noch der Stress dazu. Viele von uns haben so viel zu tun, unsere Tage sind so vollgestopft, dass wir nur noch von Aufgabe zu Aufgabe hetzen.
Die leise Melodie eines Vogels am Morgen, wenn du aus dem Haus kommst? Überhört. Der herbe Geruch von frischem Gras? Zu flüchtig. Unsere Sinne haben oft gar keine Chance mehr, die feinen Details zu erfassen, die das Leben reich und farbenfroh machen.
Es ist gut, wenn wir uns bewusst werden, wie wir mit unseren Sinnen umgehen. Denn nur wenn wir wissen, dass da etwas verkümmert, können wir auch bewusst gegenwirken.
Und wie kannst du deine Sinne schärfen? Im Grunde ist es einfach.
Gib ihnen Raum. Such die Stille. Schalte das Handy ab, lege es beiseite.
Gehe zum Beispiel barfuß auf eine Wiese. Selbst wenn der Tau noch kühl ist, atme tief ein und lass den Duft von frischem Gras in dir aufsteigen. Oder lausche, wie der Wind durch die Blätter rauscht. Spüre, wie lebendig das Leben ist, wenn du es durch deine Sinne erlebst.
Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber wenn ich entspannt bin, dann merke ich das vor allem daran, dass ich mit allen Sinnen wahrnehmen kann, dass ich wirklich in diesem Moment bin. Und ich suche diese Beschäftigung, dieses Flow-Gefühl im Jetzt zu sein immer wieder. Und mir hilft es zum Beispiel sehr, im Garten zu buddeln. Wenn ich im Garten buddle, dann kommen mir wirklich die besten Ideen.
Sinnliche Schreibimpulse
Ich habe dir auf meiner Website 50 sinnliche Schreibimpulse hochgeladen. Und die haben mir schon beim Schreiben so viel Spaß gemacht. Ich glaube, dass sie dir wirklich helfen können, deine Sinne zu beobachten und aufzubauen. Ich lade sie dir gerne runter und wie immer findest du den Link dazu in den Show Notes. Sobald du dich dann zu meinem Newsletter angemeldet hast, bekommst du den Zugang zum Bonus-Material. Natürlich auch die ganzen Materialien zu den anderen Folgen.
Ich habe mir für die nächste Folge hier einen Experten zu den Sinnen eingeladen. Rüdiger Braun hat ein ganz fantastisches Buch geschrieben. Unsere sieben Sinne, die Schlüssel zur Psyche, wie die Wahrnehmung Emotionen beeinflusst. Ich habe mir gedacht, er kann dir und mir sehr viel besser und genauer und mit sehr viel mehr Erfahrung erzählen, was eigentlich das Besondere an unseren Sinnen ist und wie wir sie für unsere Kreativität nutzen können.
Dieses Interview ist ein Auftakt zu weiteren Interviews mit Menschen, die ich ungeheuer inspirierend und spannend finde. Ich verlasse jetzt die Solo-Folgen mit anderen Worten. Wir gehen jetzt von der Theorie in die Praxis.
Manche Menschen, die ich in meinen Podcast eingeladen habe, die wirst du vielleicht kennen, wie den Bestseller-Autor Peter Wohlleben. Andere kennst du vielleicht noch nicht und ich kann es gar nicht abwarten, sie dir vorzustellen, weil ich es einfach so spannend finde, was sie machen. Sie alle haben sinnliche Erfahrungen ganz gezielt in ihrer Arbeit aufgenommen und fruchtbar umgesetzt.
Und ich schaue da auch nach links und rechts. Es ist nicht nur Roman-Autorinnen, die ich eingeladen habe. So viel kann ich dir schon verraten.
Am besten folgst du diesem Podcast auf dem Portal deiner Wahl, dann verpasst du keine Folge vor der großen Sommerpause. Denn die Sommerpause, die mache ich auf jeden Fall, um meine Sinne noch einmal so richtig schön zu entspannen und zu schärfen und mich auf die Welt einzulassen, um dann wieder im Herbst ganz neu, frisch inspiriert mit diesem Podcast zu starten. Also, nächstes Mal Rüdiger Braun zu den sieben Sinnen.
Und dann freue ich mich darauf, dir auch in den nächsten Folgen in Interviews Menschen vorzustellen, von denen ich glaube, dass sie dir ganz wertvolle Impulse für dein Schreiben geben können.
Das war es schon wieder für heute. Ich hoffe, wir hören uns bald wieder und ich hoffe, dass du deine Sinne wieder entdeckst, falls du sie vergessen haben solltest.
Und dann hören wir uns in 14 Tagen. Inspiriert Schreiben, jeden zweiten Donnerstag.
Ich wünsche dir ein gutes Schreiben.
Deine Ulrike Hartmann