Was braucht man, um ein Buch zu schreiben?

Es ist gar nicht so lange her, da galten Schriftsteller*innen in Deutschland als Genies, und alle anderen konnten nur ehrfürchtig über ihre Bücher staunen. Während meines Germanistik-Studiums in den 80er Jahren hat uns Studierende niemand ermuntert, selbst zu schreiben, und Kurse zum Kreativen Schreiben gab es kaum.  Romane schreiben, so schien es, konnten nur wenige Menschen.

Glücklicherweise hat sich das Blatt in Deutschland inzwischen gewendet. Wie es in den USA und Großbritannien schon lange üblich ist, können wir heutzutage das Schreibhandwerk lernen. Und ich weiß aus meinen Schreibkursen, wie viel Begabung in uns steckt. Sie muss nur gefördert werden.

Das Handwerk des Schreibens zu lernen, ist dabei ein Meilenstein. Es ist analytisch und kritisch.  Es hilft uns, unsere Texte zu entwickeln, indem es die richtigen Fragen stellt: Wie baue ich eine gute Geschichte auf? Wie schreibe ich lebendige Dialoge? Wie kann ich meine Figuren atmen lassen? Rechtschreibung, Grammatik, Metaphern, Symbole und Orte – all das kann studiert und gelernt werden. Es gibt zahlreiche Ratgeber. Kreatives Schreiben wird heute selbst an Schulen unterrichtet.

Aber eines fehlte mir oft in den Anleitungen, wie man einen Roman schreibt, obwohl es doch das Herz des Schreibens ist: die Bedeutung der Inspiration.  

Alles Handwerk ist nur Theorie, wenn die Inspiration fehlt. Nur wenn wir Feuer fangen, wenn wir Eingebungen haben, was wir schreiben könnten, wenn wir anfangen mit Worten zu spielen und vor Phantasie zu sprühen, nur dann entsteht diese große Freude am Schreiben und unsere Texte weisen über uns hinaus. Nur dann sind die Fragen, die das Handwerk stellt, eine fruchtbare Hilfe und kein ermüdendes Regelwerk. Es reicht nicht, eine Idee zu haben, nach Schema F den Plot zu entwerfen, Figuren zu erschaffen und loszuschreiben. Auf diese Weise landen viele Manuskripte nach ein, zwei Kapiteln in der Schublade.

Inspiration ist die Kraft, die uns dazu bringt, kreativ zu sein, neue Ideen zu entwickeln und am Ball zu bleiben. Es ist das Gefühl von Begeisterung und Energie, das uns dazu motiviert, etwas Neues zu erschaffen oder uns mit einer Aufgabe oder einem Projekt zu beschäftigen. Inspiration hilft uns, eine Geschichte lebendig und interessant zu gestalten, und sie ist es, die uns letztlich durch schwierige Phasen trägt, in denen wir an uns und unseren Projekten zweifeln. Wir schreiben, wenn wir inspiriert sind, und wir hören auf, wenn die Inspiration fehlt, und wir keine anderen Gründe haben, weiterschreiben zu müssen, wie etwa die Erfüllung eines Buchvertrags. 

Es ist im Grunde einfach: Wenn ich meine Inspiration in den Mittelpunkt meines Schreibens rücke, wenn ich Eindrücke sammle und miteinander verbinde, und es dann mit dem Handwerk abgleiche, ganz bewusst, in den verschiedenen Phasen des Schreibprozesses, halte ich meine Idee und mein Thema lebendig. Die Balance ist entscheidend. Zu viel Handwerk erstickt die Inspiration, und wer nur nach Inspiration sucht, kommt nicht ins Tun. Wenn wir wissen, wann wir frei spielen und wann wir die kritischen Fragen des Handwerks stellen sollen, können wir aus uns schöpfen, ohne zu erschöpfen. 

Deshalb helfe ich Autor*innen, nicht nur das Handwerk, sondern auch die Quellen ihrer Inspiration zu entdecken. Damit sie eine eigene kraftvolle Schreibroutine aufbauen können. Wir alle sind unterschiedlich, wir alle sind einzigartig, und die eine, richtige Art zu schreiben gibt es nicht.

Wie findest du heraus, was für dich am besten ist, um in den kreativen Prozess zu kommen? Was brauchst du, um zu schreiben? Was inspiriert und motiviert dich? Welche Gedanken, Tools und Übungen beflügeln dich? Wie findest du deine eigene Stimme? Wie entwickelst du ein Gefühl für Figuren und Spannung? Und wie bleiben Inspiration und Kreativität lebendig?  

Nimm deine Wahrnehmung als Wegweiser. Sie führt dich zu dem, was dir wichtig ist. Es geht beim Schreiben eines Romans immer auch um dich. Um deine Ideen, deine Erfahrungen, deine Gefühle und deinen Verstand – um die Wertschätzung deiner Einzigartigkeit. Wenn du anfängst, deine Vorlieben wahrzunehmen und selbstbewusst im wahrsten Sinne des Wortes  zu schreiben, findest du deine Sprache und deine Geschichten.


PS: Hier ist eine Besprechung von mir zu einem Schreibratgeber für Fortgeschrittene: John Truby, The Anatomy of Story.

2 Kommentare

  1. Hallo, Ulrike,
    danke für das Hervorheben der Inspiration! Ab und zu bin ich auf Kollisionskurs mit Schreibschulen oder auch den zumeist selbsternannten Schreibgurus, was diesen Aspekt anbelangt. Wenn ich auch den Schwerpunkt mehr auf den Oberbegriff zur Inspiration lege und diese als ein Element betrachte. Ich spreche vom Talent, das ich als nicht nur angehender Autor mitbringen muss, wenn ich mich erfolgreich und für Leser in zumutbarer Weise dem kreativen Schreiben widme. Talent ist im Allgemeinen wie die Inspiration im Besonderen etwas, das ich auch durch Üben nur schwerlich erlangen kann. Schreibschulen dürfen dies natürlich nicht öffentlich kundtun, denn z.B. eine Aufnahmeprüfung, die Talent und Inspirationsfähigkeit abprüfte, würde den Großteil potenzieller Schüler – und damit zahlender Kunden – abweisen.
    Insofern noch einmal ein Dankeschön für das Ansprechen der Inspiration und implizit des Vermögen, sich diese zunutze zu machen!
    Beste Grüße
    Michael Kothe, Autor

    • Hallo Michael,

      ich glaube, die Inspiration ist unabhängig vom Talent zu sehen und spielt da eine Sonderrolle. Du kannst Talent haben, aber trotzdem ohne Inspiration an einem Text sitzen. Talent ist meines Erachtens das erforderliche Maß an Sprachgefühl, um Texte schreiben zu können. So, wie wir auch Musikalität brauchen, um Musik zu komponieren. Tatsächlich ist es aber sehr selten, dass Menschen, die fiktionale Texte schreiben möchten, so gar kein Sprachgefühl haben. (So, wie ja auch völlig unmusikalische Menschen in Chören eher selten zu finden sind.) Ich habe tatsächlich in meinen Kursen in den letzten 10 Jahren nicht ein einziges Mal erlebt, dass ein Mensch, der schreiben möchte, gar kein Talent hat. Im Gegenteil bin ich immer wieder überrascht, wie viel Talent da schlummert. Es muss nur entdeckt und gefördert werden. Die meisten holprigen Texte entstehen meiner Meinung nach, weil man noch nicht die eigene Stimme gefunden hat. Und diese Stimme zu finden, quasi zu erwecken, kann man tatsächlich in guten Schreibkursen lernen. Und dann ist es nur noch eine Sache der Übung.

      Und hier greift dann auch wieder die Inspiration. Denn was mich inspiriert, nimmt auch unweigerlich Einfluss auf meine Erzählstimme. Spannendes Thema! Vielen Dank für deinen Kommentar, Michael.

      Herzliche Grüße
      Ulrike

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